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  • Katharina Hörig

Diaphania -"Spagat zwischen zwei Welten"

Katharina Hörig (* 1960 ) in Siebenbürgen (Rumänien)




Schau ich von diesem Berg ins Tal, bin ich beeindruckt jedes Mal. Ein Panorama breitet sich aus, ich kenn jede Straße, kenn jedes Haus. Da unten, ja dort lebten wir – Nun steh ich wie ein Fremder hier. Wo die ersten Schritte ich getan. Schau ich mir nur von Weitem an. Dorthin zu gehen fehlt mir der Mut, denn zu viel Nähe tut nicht gut, zu viel Nähe macht mir Bange, denn, was vergessen schien so lange, ist wieder da, es holt mich ein – ich werd doch nie ein Fremder sein.
(Katharina Hörig)


Ich war wieder da, in dem Ort, in dem ich geboren bin. Urlaub machen mit meinem Mann und unseren drei Kindern, wie seit vielen Jahren jeden Sommer. Eigentlich wollte ich da nie wieder hin, eigentlich. Mein Name ist Katharina Hörig. Ich lebe seit Oktober 1981 in der Bundesrepublik. Zuerst in Böblingen und seit 1990 in Heilbronn. Hier ist mein Lebensmittelpunkt, meine neue Heimat, mein Zuhause. Geboren bin ich in Siebenbürgen in einem kleinen Dorf mit dem Namen Kleinschelken. Dort habe ich meine Kindheit und einen großen Teil meiner Jugendzeit verbracht. Aus Gründen, auf die ich später noch zurückkommen werde, sind wir, also mein Vater, meine zwei Schwestern und ich, im Rahmen der Familienzusammenführung aus Rumänien ausgewandert. Meine Mutter hatte schon drei Jahre vor uns das Land verlassen. Sie hatte in Deutschland Arbeit gefunden, eine Wohnung angemietet und wir hatten das große Glück, nicht in einem Übergangswohnheim in unser neues Leben zu starten. Das alte Leben war so weit weg und ich habe es geschafft die Vergangenheit viele Jahre auszublenden. Dann kam der Tag „X“. Die Kinder fingen an, Fragen zu stellen, wollten wissen, warum wir damals gegangen sind, sie wollten sehen, von wo wir kommen.


Auf den Spuren der Vergangenheit

Ich hatte eine schöne Kindheit, unbeschwert und sorgenfrei. Ich fühlte mich wohl in einem liebevollen Elternhaus, mit einem großen Hof, mit Garten, Haustieren, und was für uns Kinder ganz wichtig war, mit vielen Freunden. Gespielt wurde hauptsächlich auf der Straße, einer nicht asphaltierten Seitenstraße, in der nur der Wind ab und zu ein Pferdewagen den Staub aufwirbelte. Die Sommer waren heiß und nach einem Gewitterregen sind wir oft durch die warmen Pfützen gelaufen, barfuß durch den Matsch gewatet, knöcheltief. Eigentlich sind wir den ganzen Sommer barfuß gelaufen und ich hatte immer dreckige Füße. Abends habe ich sie dann gewaschen. Im Winter war es eisig kalt, der einzig warme Raum im Haus war die Wohnküche. Selbst da sind die Eisblumen an den Fensterscheiben manchmal den ganzen Tag nicht abgetaut. Es kam auch vor, dass die Eingangstüre am Boden festfror und sich nur mit Gewalt öffnen ließ. Trotz der Kälte waren wir viel draußen. Schlittenfahren auf abschüssigen Hängen mit kilometerlangen Schlittenbahnen. Wenn Hände und Füße trotz Handschuhen und dicken Wollsocken kalt und klamm wurden, war es Zeit, nach Hause zu gehen. Ich habe nicht nur gespielt, ich bin auch zur Schule gegangen.


Die Schulzeit

Von Klasse eins bis acht habe ich in meinem Heimatort die Grundschule besucht. Die deutschen und rumänischen Kinder wurden im gleichen Gebäude, aber getrennt unterrichtet. Wir haben uns gekannt, aber trotzdem eine respektvolle Distanz zueinander gehalten, wir lebten nicht miteinander, sondern nebeneinander. Nach der achten Klasse habe ich in Mediasch, das war die nächstgelegene größere Stadt, an einem deutschsprachigen Gymnasium mein Abitur gemacht. Zu der Zeit haben meine Eltern bereits Pläne geschmiedet und einen Weg gesucht, das Land zu verlassen.


Warum sind wir eigentlich gegangen?


Rumänien war einmal ein reiches Land, aber durch Misswirtschaft, Korruption und falsche Politik geriet das Land Mitte, Ende der 70er Jahre in eine wirtschaftliche Schieflage, die nicht mehr zu übersehen war. Dinge und Güter des täglichen Lebens wurden knapp, die Regale in den Lebensmittelgeschäften immer leerer. Vieles wurde zur Mangelware. Viele Siebenbürger Sachsen sind damals ausgewandert, weil sie Angst hatten vor dem sozialen Abstieg und vor der Ungewissheit, ob unsere kleine Volksgruppe in Rumänien noch eine Perspektive hat. Auch unser Dorf blieb von dieser Auswanderungswelle nicht verschont. Am Anfang waren es nur ein paar, aber dann gingen immer mehr Menschen, die ich gekannt habe. Menschen, die zu meinem Leben dazugehört haben, waren einfach nicht mehr da. Jedes verlassene Haus hinterließ eine Lücke in der Dorfgemeinschaft und eine unendlich große Leere. Auch wir wollten weg, nach Deutschland, weil wir hier Verwandte hatten, weil wir hofften, uns hier eine neue Existenz aufbauen zu können. Ein Ausreiseantrag wäre niemals genehmigt worden, weil es nur zu Verwandten ersten Grades möglich war. Da blieb nur der Weg über die Illegalität. Meine Mutter durfte mit einem Besuchervisum ihre Cousine in Böblingen besuchen und kam einfach nicht mehr zurück nach Hause. Drei Jahre später sind wir nachgereist. Die Zeit der Trennung ging an keinem spurlos vorbei, aber es hatte sich gelohnt. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie damals diese Entscheidung getroffen haben.


Der Abschied

Bald nun hieß es Abschied nehmen von Freunden, Verwandten, Nachbarn, von unserem alten Leben. Das Haus wurde leergeräumt, unser ganzes Hab und Gut verschenkt oder verkauft. Alles war weg, nur die Betten standen noch. Ein letztes Mal schlafen vor der großen Reise… Dann war es soweit, die Dorfkapelle hat ein Abschiedsständchen gespielt, die Nachbarsfrauen das Abschiedslied gesungen: „Kleinschelken, oh wie ist es möglich, dass ich dich verlassen muss…“ (den restlichen Text schreibe ich jetzt nicht, sonst fange ich vielleicht an zu weinen). Viele, so viele haben uns nachgewunken, als wir in die Autos stiegen, die uns zum Bahnhof brachten. Ich fühlte mich so leer wie das Haus. Jetzt wurde mir die Endgültigkeit bewusst. Alles hinter mir zu lassen, was ich gekannt, was ich geliebt, was mir vertraut war. Mein schwerster Abschied kam erst am Bahnhof. Ein junger Mann wartete auf mich mit einer roten Rose in der Hand. Wir waren frisch verliebt und hatten nur noch Zeit für ein paar Worte, eine letzte Umarmung, dann fuhr der Zug in den Bahnhof ein und ich musste einsteigen. Die Rose fiel auf die Gleise, ich stand am Fenster und winkte. Innerhalb von Augenblicken wurde alles Vergangenheit.


Reise und Ankunft in Deutschland

Mit dem Zug fuhren wir nach Bukarest und von dort ging es weiter mit dem Flugzeug nach Frankfurt. Die Freude auf das Wiedersehen mit der Mutter war stärker als die Trauer des Abschieds. Ein lang ersehnter Moment wurde Wirklichkeit- wir waren wieder eine Familie. Von Frankfurt führte der erste Weg nach Nürnberg, wo wir registriert wurden und in das Durchgangslager kamen. Dort wurden wir als Spätaussiedler in die Bundesrepublik aufgenommen. Es waren so viele Eindrücke auf einmal, dass ich sie gar nicht richtig wahrnehmen konnte, sondern nur über mich ergehen ließ.


Meine ersten Eindrücke in Deutschland

Ich war nur noch überwältigt von so viel Schönheit, den Gebäuden, den Straßen, den vielen Autos, den Lichtern, der Sauberkeit, es war wie in einem Wirklichkeit gewordenen Traum. So volle Regale im Supermarkt, so eine Vielfalt und Überfluss hatte ich nie zuvor gesehen. Es war so viel, dass ich mich schon fast erdrückt fühlte. Mit meinen zwei Schwestern bin ich oft durch die Einkaufscenter gelaufen und wir haben all die schönen Sachen bestaunt, die wir auch gerne gehabt hätten, aber uns nicht leisten konnten. Mit 20 DM Taschengeld kann man keine großen Sprünge machen.


Priorität Nummer eins: Geld verdienen

Ein großes Kapital hatten wir trotzdem- die deutsche Sprache. So konnte ich in Stuttgart am Zeppelingymnasium mein deutsches Abitur machen, nebenher in einer Arztpraxis putzen, bei JBM als Küchenhilfe jobben und in einem Steakhouse mit griechischem Besitzer dem französischen Koch assistieren. Das Taschengeld wurde erwähnenswert aufgebessert und nach Offenlegung meiner Einkünfte: von den Eltern ganz gestrichen. Mit dem bestandenen Abitur in der Tasche wollte ich mein in Rumänien abgebrochenes Germanistikstudium wieder aufnehmen. Es ist wie so manches im Leben am Geld gescheitert. Die Eltern konnten mich nicht unterstützen und ich war noch nicht lange genug in der Bundesrepublik, um zu wissen, wie und wo man sich Hilfe holen kann. Ich bin dann bei Daimler als Datentypistin gelandet. Ein paar Jahre später war ich Sekretärin im Wareneingang mit positiven Karriereaussichten.


Familie und Beruf

Ich habe mich für die Familie entschieden. Nach der Geburt des zweiten Kindes habe ich meinen Job aufgegeben, erstens, weil ich zwischenzeitlich von Böblingen nach Heilbronn umgezogen war und zweitens, weil es mit der Kinderbetreuung partout nicht klappte. Da war auch noch das Pendeln von Heilbronn nach Sindelfingen, was mich immer mehr belastete. Nach der Geburt unseres dritten Kindes haben wir mit meinem Mann einen kleinen Familienbetrieb im Heizung und Sanitärbereich gegründet. Er arbeitet vor Ort die Aufträge ab und ich bin zuständig für die Büroarbeit. Wir haben in Heilbronn sehr viele Freunde, mit denen wir so manchen lustigen und kurzweiligen Tag oder Abend verbringen. Hier fühle ich mich gebraucht und geschätzt und habe etwas wieder gefunden, das ich in Deutschland lange Zeit vermisst habe: Das Gefühl aufgehoben zu sein in der Gemeinschaft.


Hier geht es zum Artikel von Diaphania:






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